„Die Orgelmusik ist für mich ein Moment des inneren Ausdrucks“

Holger Hantke: Der Name des mittlerweile 70-jährigen Glaubensbruders aus der Gemeinde Hamburg-Blankenese ist den musikbegeisterten Kirchenmitgliedern wohl bekannt. Als Komponist wirkte der gebürtige Lübecker bei der Entstehung von etlichen Notensammlungen der Neuapostolischen Kirche mit.

Improvisation sei eine Ihrer großen Stärken, das hat Ihnen Hermann Ober bereits 1991 anerkennend attestiert. Ihre Orchestersätze, Orgelkompositionen und -variationen sowie Chorliederbearbeitungen werden in unserer Kirche gerne gespielt. Aber wie kamen Sie zur Kirchenmusik?

Mein Großvater mütterlicherseits hatte einen Schallplattenspieler und besaß die ersten veröffentlichten Schallplatten vom Bischoff Verlag. Besonders zwei Stücke darauf haben mich als Kind schon – ich war damals etwa fünf Jahre alt – und später als Schüler fasziniert: „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ (GB 142) und „Lobe den Herren, den mächtigen König“ (GB 261) – zwei Choralvorspiele von Max Reger, gespielt von Friedhelm Deis. Mich haben damals die tiefen Töne des Pedals beeindruckt. Das weiß ich heute noch. Das brachte mich mehr oder weniger auch zur Kirchenmusik.

Die Chorarbeit in der Gemeinde Lübeck in den 60erbis 90er-Jahren war herausragend …

Ja, das war vor allem Priester Kurt Hassner und seiner fundierten kirchenmusikalischen Arbeit zu verdanken. Er war ein gebildeter, weitsichtiger Mann. Auch mich hat er gefördert und gefordert, als Orgelspieler und auch kompositorisch.

In den Lübecker Adventsmusiken hat unser Gemeindechor Teile aus „Messias“ von Händel musiziert: „Denn die Herrlichkeit Gottes des Herrn“, das „Halleluja“ zum Beispiel und ich spielte an der Orgel mit, also musste ich fleißig üben, damit ich das ordentlich hinbekomme. (lacht glücklich) Dieter Gontarski nannte im Vorwort zu „Bergedorfer Orgelbüchlein – Die Lübecker Schule“ (Anmerk. d. Red.: erschienen 2019 beim Bischoff Verlag) diese Konzerte „einsame Höhepunkte des neuapostolischen Musiklebens in Norddeutschland“.

Ihrem Lebenslauf kann man entnehmen, dass Sie 1978 einen zweiten Preis bei einem Orgel-Improvisationswettbewerb in Holland gewonnen haben. Wie kam es dazu und was bedeutete das für Sie?

Orgel-Improvisationsunterricht hatte ich im Lübecker Dom bei Professor Uwe Röhl, eine Koryphäe auf dem Gebiet. Er hat mich sehr geprägt und zu dem genannten Wettbewerb angemeldet. Mit der Teilnahme war dieses Kapitel für mich aber zu Ende. Ich hatte nämlich 1975 mein Studium der Schul- und Kirchenmusik an der Musikhochschule in Hamburg und Sprach- und Erziehungswissenschaften an der Universität in Hamburg abgeschlossen und arbeitete bereits seit drei Jahren als Gymnasiallehrer für die Fächer Französisch und Musik. Die Option eines hauptberuflichen Kirchenmusikers stellte sich nicht. Und ich war frisch verheiratet und wollte für meine Familie sorgen können.

Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit der Musikalienabteilung im Bischoff Verlag?

Hermann Ober, Leiter der Musikalienabteilung, war stets auf der Suche nach Chören für die Schallplattenproduktion. 1968 kam er zu einem Gottesdienst nach Lübeck. Ich habe unseren Gemeindechor an der Orgel begleitet und dann auch bei der Schallplattenaufnahme. So kam es zu unserer ersten Begegnung und einer ersten Auftragskomposition für unsere Kirche – ein Vierzeiler, der vertont werden musste: „Kein Wörtlein geht verloren“ (CM 334).

Zusammen mit Hermann Ober, Friedhelm Deis, Gerhard Schroth, Rudolf Rödiger, Klaus Michael Fruth und anderen Komponisten haben Sie von da an die Musiklandschaft der Neuapostolischen Kirche mitgeprägt. Wie war es für Sie?

Es war eine schöne Zeit. Ich war 17–18 Jahre alt, als Hermann Ober mich zum ersten Mal zu einer Veranstaltung eingeladen hat, die in seinem Hause stattfand und Stiftungsfest hieß. Da traf sich der ganze geballte musikalische Sachverstand unserer Kirche, so würde man es heute sagen. Ich habe alle sehr geschätzt. Das waren für mich kompositorische Vorbilder.

Hatten Sie Lebens- und Glaubenskrisen zu bewältigen?

Die 1990er-Jahre waren schwierig für mich. Meine Eltern und Schwiegereltern waren in den Jahren heimgegangen. Es war für mich die Zeit einer persönlichen Krise, einer Glaubens- und Lebenskrise. Damals habe ich mich zu einem Cut, einem Schnitt, entschlossen, ich nahm Abstand von der Kirche und machte dann auch erst einmal gar keine Kirchenmusik mehr, weder als Organist noch als Komponist. Eine Zeit lang war ich wie in der Wüste. Doch meine Wurzeln habe ich nie abgebrochen.

Wie haben Sie musikalisch Ihren Weg zurück in die Neuapostolische Kirche gefunden?

Ich hatte 1999 einen Satz für „Die Weihnachtsgeschichte für Kinder“ geschrieben und eine mit uns gut befreundete Glaubensschwester und Kinderchorleiterin bat mich, das Werk zu vollenden. Das tat ich dann auch. Die Uraufführung wurde als CD vom Bischoff Verlag veröffentlicht.

Das neueste Werk ist die bereits erwähnte Notensammlung „Bergedorfer Orgelbüchlein – Die Lübecker Schule“, bei der ich zusammen mit meinem Bruder Michael Hantke sowie Carsten Borkowski und Timo Schmidt mitgewirkt habe.

Wie sehen Sie die musikalische Entwicklung in unserer Kirche heute?

Es hat sich bereits einiges getan. Wenn man sich das überlegt, wir hatten mit der Internationalen Musikkommission seinerzeit dermaßen Schwierigkeiten gehabt, den Stellenwert der Musik zu begründen. Dass die Musik neben Anbetung und Lobpreis Gottes auch eine Art der Verkündigung sein kann, wurde nicht immer so verstanden. Dass heute Musicals gemacht werden oder ein Schlagzeug in der Kirche spielt, war früher undenkbar gewesen. Ich bin begeistert, was z. B. Gerrit Junge (Anmerk. d. Red.: Musikbeauftragter der Gebietskirche Nord- und Ostdeutschland) heute auf die Beine stellt.

Das Gespräch führte Dinara Ganzer

Textauszug entnommen aus: "Unsere Familie", Ausgabe Nr. 12|2021, S. 34-38 © Verlag Friedrich Bischoff GmbH, Neu-Isenburg (Autor: Dinara Ganzer) https://www.bischoff-verlag.de/unsere-familie/artikel/977260

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