Beseelt, hoffnungsvoll, erfüllt, nachdenklich – so beschrieben einige Jugendliche ihre Gefühle nach der Reise, die sie gemeinsam unternommen hatten. Nach Polen hatte sie geführt, genauer gesagt nach Oświęcim, auf Deutsch: Auschwitz.
Konfrontieren und auffangen: die Vorbereitung und Fahrt
Vier Monate lang plante das Orga-Team die Reise. Nicht nur Transport und Unterkunft mussten gebucht werden, auch zur inhaltlichen Gestaltung machten sich die Jugendbetreuer viele Gedanken. Es war ihnen wichtig, den Mitreisenden ein umfassendes Seelsorge-Angebot zu machen, um sie mit den belastenden Eindrücken, die auf sie zukommen würden, nicht allein zu lassen. Denn die Reise sollte den Jugendlichen nicht nur eine dunkle Phase in der Geschichte Deutschlands näherbringen, sondern ihnen auch geistliche Gedankenanstöße vermitteln, so Jugendbetreuer Matthias Krause.
Die Reise stand unter dem Motto Gedenken und Erinnern und sollte den Jugendlichen nahebringen, was vor mehr als 80 Jahren zur Zeit des Nationalsozialismus in den Konzentrationslagern Auschwitz und Birkenau geschah. Den Schlusspunkt bildete der Gottesdienst für Entschlafene am Sonntag, den die Jugendlichen gemeinsam feierten.
Hinschauen und versuchen zu verstehen: die Besichtigung
Bereits auf der Busfahrt sahen die Jugendlichen einen Dokumentarfilm: Klassenfahrt nach Auschwitz. Ob sie den Besuch wohl genauso erleben würden wie die Jugendlichen aus dem Film? Kaum waren sie angekommen, begann die geführte Tour durch das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz I.
Mit dabei waren Kim und Philine, die aufgeschrieben haben, wie sie die Reise erlebten: „Zwei Guides führten uns mit ausführlichen Erläuterungen in zwei Gruppen durch das Lager. Knapp sechs Stunden lang erhielten wir Eindrücke vom Leben und Sterben der Gefangenen. Als wir durch das Tor gingen, über dem der Satz Arbeit macht frei steht, bekamen einige von uns Beklemmungen. Angefangen bei den dreistöckigen Holzpritschen, die sich die Insassen mit vielen anderen teilen mussten, über Gefängniszellen und Kerker in Block 11 bis hin zur Todeswand, an der regelmäßig Gefangene exekutiert wurden, und dem Krematorium – uns stockte der Atem vor Entsetzen.“
Im Hauptlager wurden einige Baracken zu Museumsräumen umgestaltet. Diese zeigen unter anderem Berge an gestohlenen Besitztümern der Häftlinge wie Brillen, Schuhe, Koffer und sogar Unmengen von Haaren, die damals zu Teppichen, Decken und Tüchern verarbeitet wurden. Kim und Philine: „Einen besonderen Eindruck hat das Book of Names hinterlassen, das die Namen aller bekannten Insassen enthält. Vor der Reise haben wir Bilder von Stolpersteinen in unserem Wohnumfeld gesammelt und konnten die Namen dieser Häftlinge in dem Buch finden. Es war ein sehr bedrückendes Gefühl, auf Wegen zu gehen, wo vor etwa 80 Jahren Menschen liefen, die dort ihre letzten Stunden in größtem Schrecken verbracht haben. Weil es am Tag der Besichtigung sehr kalt war, überlegten wir, wie schlimm es gewesen sein muss, ohne wärmende Kleidung hier ausharren zu müssen.
Dann stiegen wir wieder in den Bus und fuhren in das zweite Lager Auschwitz II – Birkenau. Die 20-mal so große Anlage verfügte über vier Krematorien, in denen tausende von Menschen in kurzer Zeit ermordet wurden. Auch die unzähligen Baracken, von denen wir nur eine besichtigt haben, zeigen das Ausmaß der durchorganisierten Tötungsfabrik. Die Umstände, unter denen sich Menschen zurechtfinden mussten, waren schon im Hauptlager schlimm, aber in Birkenau waren sie noch viel schrecklicher.“
Mitfühlen, Fürbitten und Erinnern
Alle Jugendlichen erhielten am Anfang der Besichtigung eine weiße Rose. So konnte jeder an einer beliebigen Stelle ein Zeichen des persönlichen Gedenkens hinterlassen. Nach einem langen und anstrengenden Tag kehrten die Jugendlichen zum Hotel zurück. Dort boten sich den Jugendlichen noch viele Gelegenheiten, um das Erlebte zu verarbeiten.
Im schönsten Raum des Hotels trafen sich die Jugendlichen und ihre Betreuer am Sonntagmorgen zum Gottesdienst, der gleichzeitig den Abschluss der Reise bildete. Die gewonnenen Eindrücke wurden in Gebet und Predigt eingebunden. Nach einem letzten gemeinsamen Mittagessen traten die Jugendlichen die Rückreise an. Zuhause wirken die Eindrücke, die sie auf der Reise gewonnen haben, nach. Sie berichteten in ihren Familien und Gemeinden von dem, was sie erlebt hatten.
Einer der Initiatoren, Matthias Krause wünscht sich, jedem Jugendlichen einmal während seiner Jugendzeit eine solche Reise anbieten zu können. Denn auch er ist glücklich, dass die Jugendlichen so viele geistliche Impulse mitgenommen haben. „Insbesondere die Suche vieler Jugendlicher nach spirituellen Antworten auf Grundlage der Heiligen Schrift und die Offenheit für neue Gebets- und Gesprächsformen haben uns überwältigt.“
Textauszug entnommen aus: "Spirit", Ausgabe Nr. 03|23, S. 28-31 © Verlag Friedrich Bischoff GmbH, Neu-Isenburg