Auszüge aus einem Interview mit Bezirksapostel W. Klingler

Bezirksapostel Klingler gewährte am 31. Juli 2006 dem "glaubenskultur-magazin" ein Interview zum Leitbildprozess in Niedersachsen. Am 8. September 2006 wurde das Interview veröffentlicht. Mit Genehmigung der gk-Redaktion erfolgt die auszugsweise Veröffentlichung auf dieser Website.

glaubenskultur: Seit dem Jahr 2000 steht das Leitbild "Dienen und Führen" in der Neuapostolischen Kirche im Raum. ... Sie sind seit einigen Jahren dabei, es in der NAK Mitteldeutschland umzusetzen. Was ist bis heute bei Ihnen geschehen?

Bezirksapostel Klingler: Nach seiner Vorstellung ... haben wir relativ schnell festgestellt, dass das Leitbild "Dienen und Führen" ... kaum eine Veränderung bewirkt hat. ... Da habe ich mich gefragt: Wie können wir dieses Leitbild nacharbeiten? Denn nach wie vor finde ich es großartig und es bedeutet eine völlige Veränderung unserer Kirche. Was viele nicht verstanden haben, ist, dass es von einem ganz anderen Menschenbild ausgeht wie das, was wir vorher in unserer Kirche hatten.

gk: Wie würden Sie die beiden Menschenbilder - vorher und nachher - beschreiben?

Klingler: Wir hatten lange eine bevormundende Seelsorge. Das Leitbild setzt dagegen Eigenverantwortlichkeit voraus. Stammapostel Urwyler hatte das zwar seinerzeit schon angesprochen, aber auch damals haben wir sehr wenig nachgearbeitet.

... Wir haben am Anfang die Vorsteher für ein Wochenende eingeladen und Arbeitsgruppen gebildet. ... Da konnten sie dann sagen, wo sie der Schuh drückt. ... Und da kam eine Flut von Hinweisen! ... In dieser Phase haben wir festgestellt, dass wir alle von so genannten "Glaubenssätzen" geprägt sind.
Mit den Ergebnissen der Querschnittsgruppe habe ich mich dann mit den Aposteln zusammengesetzt und ... die einzelnen Themen behandelt. Immer wieder sind wir in den Kreis der Vorsteher hineingegangen und haben alte Glaubenssätze neu gedeutet, haben ihnen Hilfestellungen an die Hand gegeben ... . Die Vorstehertage haben wir mittlerweile zu einer jährlichen Institution gemacht. Dort werden Themen aufgearbeitet und präsentiert.

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gk: In einem Schreiben an die Mitglieder der Gebietskirche Niedersachsen haben Sie ausgedrückt, viele Impulse von Ihnen oder den Aposteln seien auch missverstanden worden. Welche zum Beispiel?

Klingler: Wir haben bei diesem Leitbildprozess festgestellt, dass wir Gemeinden haben, die einfach nicht über die Ressourcen, die Gaben, die Mittel verfügen, um eine lebendige Gemeinde zu sein. Ich habe davon gesprochen, dass wir die Kräfte bündeln müssen. Das wurde so verstanden, als würden wir Standorte schließen. Das ist aber ein völliges Missverständnis! Die Gemeindeschließungen haben mit ganz anderen Dingen zu tun. Die kämen auch ohne Leitbildprozess.

gk: Gibt es feste Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Gemeinde geschlossen wird?

Klingler: Ich will das gar nicht so an Zahlen festmachen. Sicherlich hat es etwas mit der Mitgliederzahl zu tun; natürlich kann ich mit 15 Gottesdienstbesuchern kaum noch eine lebendige Gemeinde ausmachen. Aber ich kann eine Gemeinde mit 50 Mitgliedern haben und da passiert auch nichts. Ich mache die Gemeindezusammenführungen an der Lebendigkeit fest. Wir schauen uns zudem die Altersstruktur an und fragen: Wie lange kann diese Gemeinde bei diesen Voraussetzungen noch bestehen? ...

gk: Was verstehen Sie unter Lebendigkeit?

Klingler: ... Viele kommen und kaufen nur die Gottesdienste aus (was auch immer das heißt). Damit meine ich: Die Treue zum Herrn wird dokumentiert durch Anwesenheit und regelmäßigen Besuch der Gottesdienste. - Diesen Satz hatte ich letztes Jahr im Erntedankgottesdienst gesagt und er wurde mir danach kräftig um die Ohren gehauen. Ich habe ihn aber auch nicht richtig erklärt. Ich spreche nicht von dem, der intensiv seines Glaubens lebt und der sich in das Geschehen der Kirche möglicherweise nicht einbringen kann. Viele Geschwister sind beruflich schwer eingebunden und familiär ausgefüllt. Für die beschränkt sich das Neuapostolisch-Sein auf den Gottesdienstbesuch. Ich meine denjenigen damit, der kommt und sich hinsetzt und sagt: Wie schön ist es, ein Gotteskind zu sein, der sich berieseln lässt und dann wieder geht. Den Gottesdienst auszukaufen ist schon ein wichtiger Punkt, wenn man ihn richtig versteht. Das bedeutet, ich nehme das für mich mit, was ich brauche, um meine Gaben zu entwickeln, mich weiter zu entwickeln und bringe mich dann mit diesen Fähigkeiten in die Gemeinde ein. Das will ich erreichen! ...

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gk: Wir waren bei dem Begriff der lebendigen Gemeinde. Ich komme in fünf Jahren in eine Ihrer Gemeinden. Welches Bild zeigt sich mir?

Klingler: Das Erste und Wichtigste ist für mich Offenheit und Freudigkeit. Die Gemeinde wird von einem großen Frieden getragen und von einer tiefen Beziehung zu Gott. ...

gk: Werden an der Tür noch Amtsträger zur Begrüßung stehen?

Klingler: ... Es können doch auch Schwestern sein. Nehmen Sie die Gemeinde ... . Da stehen Schwestern, sonntags auch Kinder, und begrüßen die Ankommenden.

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gk: Ein wichtiger Bestandteil des Gottesdienstes ist die Predigt. Was tun Sie für eine höhere Qualität der Predigt?

Klingler: Wir haben das Thema "Gehaltvolle Predigt" als Unterweisung für Amtsträger und führen hier in Niedersachsen gemeinsame Predigtvorbereitungen auf die Gottesdienste durch. ...

Manchmal gibt es auch Lehrgespräche zu konkreten Themen, wie z.B. die Bergpredigt. Wer von den Priestern kommen möchte, kann gerne kommen. Wir stellen fest, dass meistens 50 bis 60 Prozent der Priester regelmäßig teilnehmen. Es gibt natürlich auch viele, die das als "nicht neuapostolisch" ansehen. Da heißt "Laienpredigt" offenbar "so laienhaft wie möglich" ...

gk: Und das geschieht flächendeckend in ganz Niedersachsen?

Klingler: Ja. Und damit haben wir jetzt auch in Sachsen-Anhalt und Sachsen/Thüringen begonnen. ...
Darüber hinaus habe ich am letzten Vorstehertag aufgezeigt, welche Sekundärliteratur es gibt. Allerdings habe ich auch darauf hingewiesen, dass hinter jeder Sekundärliteratur ... eine Lehre steht. Gerade Anfänger machen oft den Fehler, dass sie nur einen Bibelkommentar nehmen und dann glauben, eine tolle Idee zu haben. Sie versäumen aber, einen zweiten oder möglichst noch einen dritten zu lesen. Die Vorsteher wissen, dass bei uns das Lesen von Sekundärliteratur erwünscht ist.

gk: Wir entwickeln uns also von der Laienkirche hin zu einer Ausbildungskirche?

Klingler: Ich lege schon Wert darauf, dass es beim Geisteswirken bleibt. …Ich möchte nicht eine ausgearbeitete und ausgefeilte Predigt, die abgelesen wird! Andererseits sehe ich schon einen gewissen Bedarf an Schulungen ...

gk: Gibt es auch Überlegungen, dass ein Bruder erst dann in ein Amt ordiniert wird, wenn er bestimmte Seminare besucht hat?

Klingler: ... Ich gehe aber davon aus, dass wir mehr und mehr Ausbildungsbausteine anbieten. Auch Stammapostel Leber liegt viel an der Ausbildungsförderung. ...

gk: Wie schätzen Sie den Erfolg der Umsetzung des neuen Leitbildes ein?

Klingler: ... Das Ergebnis des Leitbildprozesses würde ich am Gesamtstand unserer Vorsteher festmachen. Und der hat sich absolut gewandelt. ... Natürlich gibt es auch Gegenstimmen. Aber das ist mir auch verständlich. Denn diesen stellt sich die Frage, ob das, was sie früher gemacht haben, alles falsch war. Dennoch: Es gibt keine Veränderung ohne Widerstände. Der Prozess läuft in den Gemeinden etwa so ab: Sie haben ein Drittel, das ist sofort dafür. Das zweite Drittel ist indifferent und das dritte ist dagegen. -
... Wir haben uns in der Vergangenheit immer auf das dritte Drittel, also die, die dagegen waren, gestürzt. ... Heute mache ich das anders: Die Indifferenten, die abwartend dastehen, die will ich begeistern. Erst wenn mir das gelungen ist, dann kümmere ich mich um den Rest. Und es bleibt immer ein Teil, der sich fragt, ob ich noch neuapostolisch bin, und der dann dem Stammapostel schreibt und sich über mich beschwert.

gk: Haben Sie eine Erklärung dafür?

Klingler: Wir kommen aus einer Zeit, in der die Kirche sehr statisch war. Wir haben sehr lange auf dem Standpunkt, dass sich nichts verändern darf, beharrt. Stammapostel Schmidt hatte einen Wunsch, die Kirche zu bewahren. Als er im Neujahrsgottesdienst 1967 das Wort verwendete: "Ich bin der Herr und wandle mich nicht!", da wollte er die Geschwister sicher machen, dass Gott mit uns ist. Aber was ist daraus geworden? "Die Kirche darf sich nicht verändern." Und mit dieser Deutung habe ich aufgeräumt. Maleachi hat nämlich gesagt: "Das Volk muss sich verändern. - Gott verändert sich nicht."

gk: Sie haben von Frauen auf dem Vorstehertag gesprochen. Ist deren Arbeit nicht auch Seelsorge oder sogar ein priesterlicher Dienst an den Gläubigen?

Klingler: Wenn Sie priesterlichen Dienst mit der Ordination meinen, dann nein. Seelsorgerisch sind sie auf jeden Fall tätig. ... Unsere Schwestern in der Kinderarbeit, jetzt auch immer mehr in der Jugendarbeit, werden einfach benannt, ohne eine besondere Segnung, häufig ohne dass das der Gemeinde mitgeteilt wird. Ich könnte mir sehr gut vorstellen und würde es mir wünschen, dass man das verändert. Inwieweit wir jedoch dazu kommen, dass Frauen einmal einen Amtsauftrag bekommen, das kann ich nicht beurteilen.

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